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Zusammenfassung und Ausblick

Das Hauptaugenmerk dieser Arbeit lag auf der Berechnung der sekundären Bjerkneskraft und der Untersuchung der Wirkung einer zeitlich verzögerten Kopplung der schwingenden Blasen auf dieselbe. Die sekundäre Bjerkneskraft spielt eine noch nicht exakt verstandene Rolle bei der Strukturbildung, die in Kavitationsblasenfeldern bei geeigneten Parametern zu beobachten ist. Es wurden drei verschiedene Modelle betrachtet, die sukzessive den Einfluss von Delay und Kopplung zwischen zwei sphärischen Blasen mehr in Betracht zogen. Zunächst ein linearisiertes Keller-Miksis-Modell, in dem die Blasen ohne gegenseitige Kopplung schwingen, anschließend ein ebenfalls linearisiertes Modell, bei dem jedoch zur kosinusförmigen antreibenden Kraft ein Term von der Nachbarblase hinzukommt, der die gegenseitige Kopplung wiederspiegelt, und schließlich das volle nichtlineare, delay-gekoppelte System, dessen numerische Behandlung nicht ohne Tücken ist. Die Motivation, ein solches Delay einzuführen liegt in der Berücksichtigung einer endlichen Schallgeschwindigkeit im Medium, die einen kleinen Effekt darstellt, der jedoch nicht notwendig vernachlässigt werden darf, da die sekundäre Bjerkneskraft empfindlich von den Schwingungsphasen abhängt. Zudem sind die zugrundeliegenden Bewegungsgleichungen nichtlinear und können somit empfindlich von ihren Anfangsbedingungen abhängen, und die Einführung eines Delays macht aus einem niedrigdimensionalen System ein zumindest theoretisch unendlichdimensionales System, dessen Lösungen komplex und empfindlich sein können.

Die durch die Delaykopplung auftretenden Effekte, die sich durch den Vergleich der gekoppelten Modelle mit dem einfachsten der drei Modelle erschließen, werden noch einmal zusammengefasst. Am auffälligsten ist der Bruch der Symmetrie der Vorzeichenverteilung in der $R_{10}$-$R_{20}$-Ebene. Dies erlaubt sekundäre Bjerkneskräfte, die eine gleichgerichtete Bewegung beider Blasen bewirken, da sich die Blasen nicht mehr gegenseitig anziehen oder abstoßen. Es lassen sich Fälle finden, in denen beispielsweise die erste Blase die zweite anzieht, aber von dieser abgestoßen wird. Dieser Effekt wird bereits am ungekoppelten, linearisierten Modell deutlich, das das Delay nur bei der Berechnung der sekundären Bjerkneskraft berücksichtigt. Darüber hinaus verschieben sich die Vorzeichenwechsel durch die Hinzunahme der Delaykopplung bei kleinem Delay zu größeren Ruheradien. Dann wird die Bjerkneskraftlandschaft nicht mehr durch die linearen Resonanzen dominiert, und die Extremwerte sind zu größeren Ruheradien verschoben. Die rasante Änderung der Vorzeichenverteilung ist in diesem Fall stärker auf ein Intervall um $\tau =T/4$ konzentriert. Mit zunehmendem Abstand nimmt der Einfluss der Kopplung ab, und die sekundären Bjerkneskräfte ähneln denen, die das ungekoppelte Modell berechnet hat.

Die nichtlinearen Simulationsrechnungen zeigen gegenüber den linearen Modellen bereits bei sehr kleinen Schalldrücken leichte Abweichungen, die jedoch nicht überwiegen. Es zeigt sich, dass bei einem nicht zu kleinen Delay die Aussagen des linearisierten, delay-gekoppelten Modells auch bei einem Schalldruck von $10\einh{kPa}$ noch gut zu denen des nichtlinearen Modells passen. Bei sehr kleinem Delay und entsprechend starker Kopplung tauchen allerdings Effekte auf, die sich mit diesem Modell nicht mehr erklären lassen. Die Struktur der Vorzeichenmuster wird gerade für große Ruheradien, bei denen die Annahme der Linearisierung, die Blase schwinge mit kleiner Auslenkung um ihren Ruheradius, nicht mehr erfüllt ist, verändert. Erhöht man dann den Druck auf Werte, wie sie für die Strukturbildung typisch sind, finden sich völlig neue Verteilungen, die mit denen bei geringeren Drücken nur noch gemeinsam haben, dass bei $\tau\approx T/4$ der Ausschnitt der $R_{10}$-$R_{20}$-Ebene von $100\einh{\mu m}$ bis $250\einh{\mu m}$ etwa durch die Winkelhalbierende geteilt wird, und die Vorzeichen für noch größeres Delay sich umdrehen. Bei sehr kleinem Delay fand sich eine komplexe Struktur, die den komplizierten Einfluss der zeitlich verzögerten Kopplung auf die Dynamik der dann stark gekoppelten, nichtlinearen Blasenoszillatoren wiederspiegelt.
Schließlich zeigt ein Vergleich der wenigen, aus der Literatur bekannten Ergebnisse zu diesem Thema mit denen des delay-gekoppelten Modells, dass sich die vorhergesagten Kräfte wesentlich unterscheiden. Es zeichnet sich dabei ab, dass eine weitere Druckerhöhung auf moderate Werte die Komplexität des Bjerkneskraftmusters etwas beschneidet, und die zerfransten Muster der Vorzeichenverteilung glättet.

Wie jede Arbeit hinterlässt auch diese offene Fragen, sei es, weil sie sie nicht behandelt hat, sei es, da sich diese Fragen erst durch diese Arbeit ergeben haben.
Ein großes Delay hat einen größeren Einfluss auf das Vorzeichen der sekundären Bjerkneskraft, während sich ein kleines Delay mit der stärkeren Kopplung deutlich auf die Blasenschwingung auswirkt. Diese Effekte gilt es nun gegeneinander abzuwägen. Auch ein Vergleich der primären und der sekundären Bjerkneskraft drängt sich auf, um festzustellen, wie man sie für die Modellierung der Strukturbildung durch das Partikelmodell verwenden muss. Für die Strukturbildung darf davon ausgegangen werden, dass der Einfluss des Delays spürbar sein wird. Die Ergebnisse aus dieser Arbeit und aus [25] sind teilweise zu unterschiedlich, als das man darüber einfach hinwegsehen dürfte. Dies wird Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
Der nur kurz erwähnte Effekt der ,,super-resonanten`` Blaasenpaare macht ebenfalls neugierig auf weitere numerische Simulationsrechnungen. Und letztlich ist es auch die Aufgabe der Physik, die in der Simulation mit einem Modell gefundenen, theoretischen Erkenntnisse auch experimentell zu verifizieren oder falsifizieren. So werden sicherlich Experimente durchgeführt werden, die untersuchen, ob der Einfluss der endlichen Schallgeschwindigkeit eher theoretischer Natur ist, und somit getrost vernachlässigt werden darf, oder ob er tatsächlich für das Entstehen und Verstehen der wunderschönen Strukturen mitverantwortlich ist.

Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Delaydifferentialgleichungen $\textstyle \parbox{.60\textwidth}{\small \textit{Do not meddle in the affairs o... ...quick to anger.}\footnotemark \\ [.2\baselineskip] \textsc{Gildor Inglorion}}$ Häufig findet man in der Physik und in anderen Wissenschaften Problemstellungen, bei denen die Einflüsse einiger Größen erst verzögert, mit einem Delay behaftet, auftreten. So stellt die Schwangerschaftszeit in der Populationsforschung ebenso ein Delay dar, wie die Blutzirkulation bei der medikamentösen Behandlung. Bei rückgekoppelten Systemen (s. [1] für rückgekoppelte Halbleiterlaser) ist die Zeit der Rückkopplung endlich, wie auch die Zeit bei Wechselwirkungsphänomenen. Diese mögen vielleicht mit Lichtgeschwindigkeit stattfinden, bleiben aber endlich schnell. Oftmals ist der Einfluss dieser Verzögerung zu vernachlässigen. Bei nichtlinearen Systemen, die ja empfindlich von ihren Systemparametern abhängen, muß das allerdings nicht notwendig der Fall sein, ebenso kann eine lineare Abbildung an Komplexität gewinnen.
Die Formen des Delays sind vielfältig. Ein Delay mag kurz sein bei mit Lichtgeschwindigkeit wechselwirkenden Systemen, die räumlich nicht weit voneinander entfernt sind, oder lang in der Populationsforschung. Das Delay kann auch durch eine Funktion, die eventuell auch vom Zustand des Systems selber abhängt, gegeben sein. Im hier vorliegenden Fall der Kavitationsblasendynamik wurde jedoch ein konstantes Delay angenommen.


Unterabschnitte
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Stefan Kamphausen 2003-07-17