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Die sekundäre Bjerkneskraft

Es soll nun die Formel für die Berechnung der sekundären Bjerkneskraft hergeleitet werden. Es werden zwei Kavitationsblasen in einem stationären Schallfeld betrachtet, dessen Wellenlänge groß ist gegen den Abstand der Blasenmittelpunkte und dieser wiederum groß gegen die Blasenradien. Somit wird also zunächst angenommen, dass Phase und Amplitude des Schalldrucks für beide Blasen gleich sind. Es wird weiter angenommen, dass die Blasen eine sphärische Form behalten mit Radien $R_1(t)$ und $R_2(t)$, wobei unterstellt wird, dass die Blasen nicht zu dicht bei einer Grenzfläche oder beieinander liegen, und dass keine Oberflächenmoden angeregt werden. Das Koordinatensystem werde so gewählt, dass die erste Blase in seinem Ursprung sitzt (s. Abbildung 2.2).
Abbildung 2.2: Koordinatensystem für das angenommene Modell. Die erste Blase sitzt im Ursprung, die zweite im Abstand $d$. $r$ bezeichne die Radialkomponente und $\vec{F}_{b,12}$ die sekundäre Bjerkneskraft von der ersten auf die zweite Blase
\includegraphics [width=7cm]{EPS/koosys.eps}
In [25] wurde die Flüssigkeit in der Nähe der Blasen als inkompressibel angenommen. Dies gilt nun nicht mehr, da hier eine endliche Schallgeschwindigkeit angenommen wird. Da diese jedoch bis auf eine sehr kurze Phase beim Blasenkollaps groß gegen die Geschwindigkeit der Blasenwand ist ([5]), ist die Machzahl
\begin{displaymath} M=\frac{\dot{R}(t)}{c} \end{displaymath}

klein, wobei $\dot{R}(t)$ Ableitung des Blasenradius nach der Zeit, und $c$ die Schallgeschwindigkeit in Medium, also Wasser, bezeichne. Laut TRITTON gilt eine inkompressible Näherung ([36]):
\begin{displaymath} \frac{\rho}{\Delta\rho}\ll1 \end{displaymath} (2)

($\rho$ bezeichne die Dichte und $\Delta\rho$ die Dichteänderung) für die Bewegungs- Navier-Stokes-Gleichung, wenn
\begin{displaymath} M\ll1. \end{displaymath} (3)

Diese Bedingung ist bei den gegebenen Parametern erfüllt, solange für den Anregungsdruck $p_a$ gilt:
\begin{displaymath} p_a \ll 10^9\einh{Pa}, \end{displaymath}

denn:
\begin{align} M^2=\left(\frac{v}{c}\right)^2=\left(\frac{p_a}{\rho c^2}\right)... ...pprox \frac{p_a^2}{10^{18}}\nonumber\ \Rightarrow p_a \ll 10^{9}. \end{align}
Dies ist für den Anregungsdruck und den gestreuten Druck erfüllt (außer eventuell kurz nach einem heftigen Blasenkollaps). Durch Wegfallen der Ableitungen nach den Winkeln (Radialsymmetrie wurde angenommen) erhält man dann aus der Kontinuitätsgleichung in Kugelkoordinaten für die Radialkomponente $r$ des obigem Koordinatensystems das Geschwindigkeitsfeld $w_1$, das die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsteilchen am Ort der zweiten Blase, durch die Schwingung der ersten Blase erzeugt, bestimmt:
\begin{displaymath} w_1 = \frac{R_1^2(t-\tau)\dot{R}_1(t-\tau)}{r^2},\quad\tau=\frac{r}{c}\;. \end{displaymath} (4)

Die Verzögerung um $\tau $ rührt von der Zeit, die der Druck für die Strecke zwischen den beiden Blasen benötigt.
\begin{displaymath} \tau = \frac{d}{c}, \end{displaymath} (5)

wenn $d$ der Abstand der Blasen ist. Im Folgenden wird für $R_j(t-\tau)$ häufig auch $R_{j\tau}$ als synonyme Bezeichnung verwendet. Aus der Navier-Stokes-Gleichung erhält man entsprechend das Druckfeld, das von der ersten Blase in die Flüssigkeit abgegeben wird, bis auf Terme der Ordnung $r^{-5}$. Es gilt:
\begin{displaymath} \rho \frac{\partial w_1}{\partial t} + \frac{\partial p_1}{\partial r} = 0, \end{displaymath} (6)

und mit Gleichung (2.5) folgt nun
\begin{align} \frac{\partial p_1}{\partial r} &= -\frac{\rho}{r^2} \ddt(R_{1\t... ...w p_1 &= \frac{\rho}{r}\ddt (R_{1\tau}^2\dot{R}_{1\tau}). \nonumber \end{align}
Das Druckfeld der ersten Blase wirkt zusätzlich zum Anregungsdruck auf die zweite Blase (natürlich auch das der zweiten auf die erste). Sei $V_2(t)=\frac{4}{3}\pi R_2^3(t)$ das Volumen der zweiten Blase und $\vec{\nabla}p_1$ der Druckgradient, der an ihrer Position durch die erste Blase erzeugt wird; dann ist
\begin{displaymath} \vec{F}_{12} = -V_2(t)\cdot \vec{\nabla}p_1 \end{displaymath} (7)

die Kraft, die auf die zweite Blase wirkt. Somit erhält man für die auf die zweite Blase in der Entfernung $d$ von der ersten wirkende Kraft:
$\displaystyle \vec{F}_{12}$ $\textstyle =$ $\displaystyle - V_2(t) \left.\frac{\partial p_1}{\partial r} \right\vert _{r=d} \,\vec{e}_r$ (8)
  $\textstyle =$ $\displaystyle V_2(t)\frac{\rho}{d^2}\ddt \left(R_{1\tau}^2\dot{R}_{1\tau}\right) \,\vec{e}_r$  
  $\textstyle =$ $\displaystyle \frac{\rho}{4\pi d^2}V_2(t) \ddtt V_1(t-\tau) \,\vec{e}_r.$  

Dabei sind $V_1(t)=\frac{4}{3}\pi R_1^3(t)$ das Volumen der ersten Blase und $\vec{e}_r$ der radiale Einheitsvektor.
Mittelt man nun diese Kraft über eine Anregungsperiode durch partielle Integration, erhält man die effektive Kraft auf die zweite Blase: die sekundäre Bjerkneskraft:
\begin{displaymath} \vec{F}_{b12} = \langle\vec{F}_{12}\rangle = -\frac{\rho}{4\pi d^2} \aver{\dot{V}_1(t-\tau)\dot{V}_2(t)} \, \vec{e}_r. \end{displaymath} (9)

Im Fall kleiner, linearer Schwingungen beider Blasen mit Amplituden $V_{ja}$ um das Volumen der ruhenden Blase $V_j(t) = V_{j0} + V_{ja} \cos(\omega t +\varphi_j),\; (j=1,2)$ erhält man für ein inkompressibles Fluid (also ohne Delay; s. [30]):

\begin{displaymath} \vec{F}_{b12,lin} = -\frac{\rho\omega^2}{8\pi d^2}V_{1a}V_{2a}\cos(\varphi_1 - \varphi_2) \, \vec{e}_r. \end{displaymath} (10)

Somit ist die Aussage der linearen Näherung ohne Delay, dass sich Blasenpaare anziehen, die beide größer oder aber beide kleiner als der lineare Resonanzradius sind, während sich gemischte Blasenpaare abstoßen (hierzu später mehr). Es ist ersichtlich, dass die sekundäre Bjerkneskraft für den Fall nicht delay-gekoppelter Blasen invariant gegen Indexvertauschung $1\leftrightarrow2$ in Gleichung (2.11) ist, da dann $\dot{V}_1(t)$ und $\dot{V}_2(t)$ zum gleichen Zeitpunkt eingehen. Es ist zu beachten, dass bei einem Wechsel der Indizes auch das Koordinatensystem wechselt, so dass folgt: Bei instantan wechselwirkenden Blasen sind die sekundären Bjerkneskräfte gleich groß und entgegengesetzt:
\begin{displaymath} \vec{F}_{b12} = -\vec{F}_{b21}. \end{displaymath} (11)

Die Einführung des Delays wird diese Symmetrie auflösen, wie in Kapitel 3 gezeigt wird.

Genaugenommen hängt die Delayzeit $\tau $ auch von den momentanen Blasenradien $R_1(t)$ und $R_2(t)$ ([11]) ab. Außerdem verändert sich $d=d(t)$, falls die Blasen sich relativ zueinander bewegen. Falls sich die Blasen relativ zur Flüssigkeit bewegen, müssen evtl. verschiedene Delayzeiten wegen des Dopplereffekts berücksichtigt werden. Alle genannten Effekte werden jedoch vernachlässigt, so dass $\tau=\text{const}$ angenommen wird.


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Stefan Kamphausen 2003-07-17